Interview Opa Aufricht erzählt - Das Geheimnis meines Walnussschnaps

Als ich noch ein kleiner Junge war, hatten wir auf unserem Hof einen ganz besonderen Hengst. Er hieß Nonius, genau wie die Pferderasse. Nonius war ein stolzes, prachtvolles und kräftiges Tier – der Stolz und ganz besondere Liebling meines Vaters.

Eines Nachts wurde mein Vater von einem seiner Knechte geweckt. „Herr“, rief der Knecht. „Herr, kommt schnell. Es ist etwas passiert“. Damals war es üblich, dass der Bauer von seinen Knechten und Mägden noch als „Herr“ bezeichnet wurde. Chef oder Boss hätte damals niemand gesagt. Diese Worte kannten wir gar nicht. Dem Knecht war die Verzweiflung und Verzagtheit förmlich ins Gesicht geschrieben. „Herr, der Nonius ist krank“. Diese Nachricht traf meinen Vater wie ein Schlag.

Zu dritt rannten wir in den Stall und waren geschockt. Nonius, der starke, stolze Hengst lag auf dem Stroh. Sein Bauch war aufgedunsen und er machte keinen Mucks mehr. „Hol den Veterinär“, befahl mein Vater dem Knecht. 

Der Tierarzt hieß Dr. Kuhhaut – kein Name könnte passender sein. Aber auch er wusste keinen Rat. In seiner Verzweiflung sagte mein Vater: „Jetzt geh‘ ich auf’s Ganze“. Er verschwand und kam wieder mit einem Liter seines 50-Prozentigen Nussschnapses. Den flößte er Nonius ein. Zunächst geschah nichts – aber dann regte sich das Pferd plötzlich. Es gab einen Laut von sich, halb geröchelt, halb gewiehert. Ein paar Stunden später stand es dann wieder auf den Beinen. Woran Nonius genau gelitten hat, war nicht klar. Aber mein Vater behielt Recht. Für ihn war der Nussschnaps immer Medizin, kein Genussmittel. „Das Geheimnis liegt in der Natur“, sagte er immer. Er meinte damit die Bitterstoffe der Nüsse. Die wirken sich positiv auf den Magen aus und helfen bei so manchen Krankheiten und Zipperlein. 

Von meinem Vater habe ich dann gelernt, worauf es ankommt. Zum Beispiel auf den richtigen Zeitpunkt. Um Johanni herum muss man die Walnüsse schneiden, wenn die Früchte noch grün sind. Das ist sehr anstrengend, denn die Bäume stehen dann voll im Saft. Da braucht man viel Kraft und die Gerbstoffe, die beim Schneiden austreten, färben die Finger wochenlang. Alle Nüsse für meinen Schnaps wachsen hier im eigenen Garten. 

Ich nehme aber nicht mehr 50-Prozentigen Alkohol wie mein Vater, sondern nur noch 38-Prozentigen. Dann ist es am Ende nicht nur Medizin, sondern auch ein Genussmittel. Und das schmeckt man auch!