Interview „Man kann die Ruhe förmlich sehen“

Das Bodenseemagazin im Interview mit Manfred Aufricht, der zusammen mit seinem Bruder Robert das Familienweingut Aufricht leitet, das inmitten des Meersburger Landschaftsschutzgebietes liegt.

BM: Herr Aufricht, im vergangenen Winzerjahr haben Sie wieder einige bedeutende Auszeichnungen gewonnen. Bei der internationalen Preisverleihung des AWC Vienna 2014 gewann einer Ihrer Spätburgunder sogar den weltweit ersten Platz. Wir gratulieren zu diesem grandiosen Erfolg. Wie schaffen Sie das immer wieder, solche begehrten Auszeichnungen zu gewinnen?

Da kommt Vieles zusammen. Grundlegend ist, dass unsere Arbeit wirklich unsere Passion ist. Und wir wissen, dass ein Weinterrain mehr ist als der Boden an sich, auch die Atmosphäre, das Landschaftsbild muss intakt sein – das alles kommt dem Wein zugute. Wir sind ein Familienunternehmen in der mittlerweile dritten Generation und sind stolz darauf, in einer so außergewöhnlichen Landschaft leben und arbeiten zu dürfen. Natürlich laufen wir nicht nur glückselig lächelnd an unseren Weinreben entlang. Der Winzer braucht ein großes handwerkliches Geschick und er muss seine Pflanzen genau kennen. Und die Auszeichnungen zeigen uns, dass wir einen Weg gehen, der für uns stimmig ist. Es ist wunderbar, diese Preise zu erhalten, aber genauso schön sind die Anerkennungen, die wir von unseren Kunden bekommen.

BM: Worauf kommt es Ihnen bei der Weinherstellung an?

Wir sind ein Familienbetrieb. Den Begriff der Familie beziehe ich aber nicht nur auf die Familie Aufricht, die den Namen trägt, sondern auch auf die Familie der Mitarbeiter, vom Kellermeister bis zur Hilfskraft während der Weinlese. Alle arbeiten mit viel Liebe, Begeisterung und Erfahrung bei uns. Weinbau ist Handwerkskunst und schwere landwirtschaftliche Arbeit. Da spielen Erfahrung und Wissen eine sehr wichtige Rolle. Je besser unsere Mitarbeiter unsere Weinberge kennen, umso besseren Wein können wir produzieren. Auch die Arbeit im Weinkeller erfordert höchste Kompetenz und ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Wir konzentrieren uns auf die Rebsorten, die am Bodensee seit Generationen wachsen und laufen nicht jeder Modeerscheinung und jedem neuen Trend hinterher. Wir haben unseren eigenen Weg gefunden und gehen diesen kontinuierlich weiter, immer mit Demut vor der Natur, von der wir letztlich abhängig sind. Das ist unsere Philosophie.

BM: Herr Aufricht, was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an den Weinen vom Bodensee?

Der Bodensee wird ja nicht unmittelbar mit Wein in Verbindung gebracht, da denken viele doch eher an eine Urlaubsregion. Umso mehr ist es ein großer Erfolg, wenn dann ein Spitzenwein vom Bodensee ausgezeichnet wird – das bringt uns allen natürlich mehr Aufmerksamkeit. Ich betrachte den Bodenseewein aus zwei Blickwinkeln, zum einen von der sensorischen Seite her und zum anderen selbstverständlich aus emotionaler Sicht, geht es doch auch immer um den Genuss.
Emotional ist es sicherlich, wenn Sie hier aus dem Fenster heraus sehen und auf den See blicken: gerade im Herbst und Winter kann man die Ruhe förmlich sehen. Die Landschaft mit ihrer wunderbaren Natur nimmt einen mit, die sagenhaften Ausblicke auf die schneebedeckten Berge im Winter oder die grasgrünen Felder und Wiesen im Sommer. Es lässt sich schwer in Worten beschreiben, die gesamte Atmosphäre hat etwas ganz Besonderes.
Von der sensorischen Beschreibung her ist der Bodenseewein insgesamt erfolgreich, jugendlich, frisch und dynamisch. Zu mir hat mal ein Kunde gesagt: „Euer Wein (vom Bodensee) ist gut zu mir“. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass die Weine vom See nicht nur bei hochkarätigen Wettbewerben mithalten können, die durch verschiede Qualitätskriterien definiert werden. Vielmehr haben wir in den letzten Jahren Weine angebaut, die den Leuten gut schmecken, den Konsumenten auch gut tun, kurz: der Wein schmeckt und macht Freude.

Ein weiterer Aspekt des Speziellen am Bodenseewein ist auch die relative kleine Anbaufläche und Kleinteiligkeit der Weingüter, die dazu führt, dass der Wein auch regional sehr unterschiedlich schmeckt und jeder Winzer seinem Wein eine hohe Individualität verleiht. Die Bodenseewinzer legen großen Wert auf Qualität und bauen Ihre Weine mit großer Sorgfalt und Kompetenz aus. Insgesamt kann man sagen, dass den Bodenseewein eine gewisse „Leichtigkeit“ auszeichnet.

BM: Gibt es eine Weinrebe, die Sie typisch finden für die Region?

Sicherlich sind der Müller-Thurgau und der Spätburgunder die Leitrebsorten rund um den See. Aber bei den Weißweinen habe ich zwei Rebsorten, die mir besonders gut gefallen: den Auxerrois, auch Gelber Burgunder, und den Sauvignon blanc. Ich vergleiche die Weine gerne mit einem Gesprächspartner. Der Auxerrois ist ein sehr charmanter, leiser, tiefgründiger Begleiter. Als Gegensatz zum eher ruhigen Auxerrois erzählt der Sauvignon blanc, um in diesem Bild zu bleiben, sehr laut, hält aber auch, was er verspricht - er ist jung, dynamisch und strahlt sensorisch betrachtet eine gewisse jugendliche Ungestümtheit aus.

Bei den Rotweinen haben wir seit 25 Jahren verschiedene Rotweinsorten neben dem Spätburgunder angebaut, was selbstverständlich auch gut funktioniert. Aber aus gutem Grund haben unsere Vorfahren, die der Tradition im Anbau des Spätburgunders seit über 1000 Jahren treu geblieben sind, den Anbau von Pinot Noir in der Bodensee Region gepflegt.

Bei den geschmacklichen Ausprägungen ist die Gesamtphilosophie der Winzer entscheidend, zu der auch die eigene Qualitätsphilosophie zählt. Persönliches Engagement und Geschmacksbild machen den Unterschied, jeder Winzer lebt seinen Anspruch, kreiert entsprechende Weine und trägt so zu einer Vielfältigkeit an Geschmacksvariationen bei. Das macht es ja auch eben so spannend am Bodensee, dass keine standardisierte Ware hergestellt wird. Und das kann man wahrlich schmecken, wenn man die Winzer am See besucht und hier die unterschiedlichen Weine probiert. Geschmack ist nun mal für jeden etwas anderes, und jeder empfindet anders. Wein ist ein Handwerksprodukt und daher ist es ja auch wünschenswert, das man dies auch schmeckt. Ich kann Ihren Lesern wirklich nur empfehlen, einmal um den ganzen See zu fahren und die einzelnen Weinerzeuger zu besuchen, um dort die Unterschiedlichkeiten herauszuschmecken. Es lohnt sich.